Zusammenfassung
Thrombotische Mikroangiopathien (TMA) sind durch die Kombination aus mikroangiopathischer hämolytischer Anämie, Thrombozytopenie und Organschädigung infolge mikrovaskulärer Thromben gekennzeichnet. Die wichtigsten Formen sind die thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) und das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS).
Die TTP zeigt häufig eine ausgeprägte Thrombozytopenie und neurologische Symptome. Ursache ist meist eine genetisch bedingte oder antikörpervermittelte Aktivitätsminderung der ADAMTS13-Metalloprotease, die normalerweise durch die Spaltung von vWF-Multimeren antithrombotisch wirkt. Das HUS tritt typischerweise im Kindesalter nach einer Infektion mit Shigatoxin-bildenden E. coli (STEC) auf und geht mit einer ausgeprägten Nierenbeteiligung einher. Eine sichere Unterscheidung von TTP und HUS ist im klinischen Alltag nicht immer möglich.
Um ein terminales Nierenversagen oder einen letalen Verlauf der Erkrankung abzuwenden, ist eine zügige Behandlung essenziell. Je nach Ursache reichen die Behandlungsstrategien von supportiven Maßnahmen (z.B. Immunsuppression) bis hin zu gezielten Therapien (z.B. ADAMTS13-Substitution und Anti-vWF-Antikörperfragment-Gabe bei der TTP oder Komplementinhibition beim HUS).
Für spezielle Informationen zu Kindern und Jugendlichen siehe: Hämolytisch-urämisches Syndrom im Kindes- und Jugendalter.
Epidemiologie
- Häufigkeitsgipfel
- TTP [1]
- Angeboren: Meist im Neugeborenen- und Kindesalter, aber auch im Erwachsenenalter möglich
- Erworben: Meist im Erwachsenenalter, aber auch im Kindesalter möglich
- HUS: Im Alter zwischen 2 und 5 Jahren (STEC-HUS) [2]
- TTP [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP) [4]
- Synonym: Moschcowitz-Syndrom
- Ursache: Qualitativer Mangel an Metalloprotease ADAMTS13
- Erworben durch Autoantikörperbildung (acquired TTP, aTTP): Ca. 95%
- Im Rahmen rheumatischer Erkrankungen
- Induziert durch Medikamente (u.a. einige Zytostatika)
- Während der Schwangerschaft (Östrogene)
- Angeboren (congenital TTP, cTTP): Ca. 5%
- Erworben durch Autoantikörperbildung (acquired TTP, aTTP): Ca. 95%
Die aTTP tritt häufig idiopathisch auf, kann aber – wie die cTTP – auch durch Infektionen, Medikamente und Schwangerschaft ausgelöst werden. Weitere cTTP-Trigger sind außerdem Alkoholexzesse und Stress! [1][4]
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
- Synonym: Gasser-Syndrom
- Ursachen
- Häufig: Infektion mit Shigatoxin-bildenden E. coli (STEC-HUS) (veraltet: Typisches HUS)
- Selten: U.a.
- Dysregulation des Komplementsystems (veraltet: Atypisches HUS)
- Infektion mit Shigellen oder Pneumokokken
- Siehe auch: HUS im Kindes- und Jugendalter - Ätiologie
Pathophysiologie
- TTP: Verminderte Aktivität der Metalloprotease ADAMTS13 (genetisch oder autoimmun bedingt) → Keine Spaltung großer Von-Willebrand-Faktor-Multimere mit ausgeprägter Thrombozyten-Adhäsivität → Verstärkte Thrombozytenbindung und -aggregation → Bildung thrombozytenreicher Thromben in den Mikrogefäßen
- HUS: Endothelzellschädigung durch meist Shigatoxin oder Aktivierung der Komplementkaskaskade → Aktivierung und Adhäsion von Thrombozyten und Leukozyten → Bildung thrombozytenreicher Thromben in den Mikrogefäßen (siehe auch: HUS im Kindes- und Jugendalter - Pathophysiologie)
Gemeinsame Folgen
- Thrombozytenverbrauch → Thrombozytopenie
- Mechanische Schädigung der Erythrozyten in den Mikrogefäßen → Mikroangiopathische hämolytische Anämie mit Fragmentozyten
- Mikrozirkulationsthromben → Organschäden (insb. Niere, Gehirn und Herz)
Symptomatik
- Allgemeine Symptome: Abgeschlagenheit, Fieber, Arthralgien
- Spezifische Symptome
- Gastrointestinale Symptome
- (Ggf. blutige) Diarrhö
- Übelkeit, Erbrechen
- Abdominelle Schmerzen
- Symptome bei Anämie
- Abgeschlagenheit, Blässe
- Tachykardie
- Ggf. brauner Urin durch Hämoglobinurie
- Thrombozytopenie, Störung der Thrombozytenaggregation: Petechien, Purpura
- Akute Nierenfunktionseinschränkung : Oligurie/Anurie mit
- Arterieller Hypertonie
- Peripheren Ödemen
- Neurologische Beeinträchtigung
- Kardiale Beeinträchtigung
- Herzrhythmusstörungen
- Akute Herzinsuffizienz
- Zeichen einer myokardialen Ischämie
- Siehe auch: HUS im Kindes- und Jugendalter - Symptomatik
- Gastrointestinale Symptome
Diagnostik
Labordiagnostik
- Thrombozytopenie: Mittelgradig bis stark ausgeprägt
- Siehe auch: Vorgehen bei Thrombozytopenie
- Mikroangiopathische hämolytische Anämie
- Hämolysezeichen
- Direkter Coombs-Test: Negativ
- Peripherer Blutausstrich: Fragmentozyten , Polychromasie
- Akute Nierenfunktionseinschränkung
- Ggf. kardiale Schädigung: Troponin↑
- Bei V.a. TTP: Verminderte Aktivität der Metalloprotease ADAMTS13
- PLASMIC-Score: Risikoabschätzung für ADAMTS13-Defizienz
- ≤4 Punkte: Geringes Risiko
- 5 Punkte: Mittleres Risiko
- ≥6 Punkte: Hohes Risiko
- ADAMTS13-Aktivitätsbestimmung im Speziallabor (bei PLASMIC-Score ≥5 Punkte)
- Diagnosesicherung: ≤10% Aktivität
- Ggf. Nachweis von Autoantikörpern
- PLASMIC-Score: Risikoabschätzung für ADAMTS13-Defizienz
- Bei V.a. HUS siehe: Diagnostik des HUS im Kindes- und Jugendalter
Anzeichen der TMA sind eine Thrombozytopenie und mikroangiopathische hämolytische Anämie, kombiniert mit einer Organbeteiligung von insb. Niere und ZNS!
PLASMIC-Score (Rechner)
Differenzialdiagnosen
- Disseminierte intravasale Koagulopathie (DIC)
- Infektionen
- Autoimmunerkrankungen
- Maligne Erkrankungen
- HELLP-Syndrom
- Maligne Hypertonie
- Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (immunologisch oder toxisch )
- Stammzell- oder Organtransplantationen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapie der TTP
Supportive Akuttherapie
- Beginn: Sofort bei hohem Verdacht
- Ziele: Erhöhung der ADAMTS13-Aktivität, Elimination der Autoantikörper, Reduktion des Thrombozytenverbrauchs
- Durchführung
- Gabe von Fresh Frozen Plasma (FFP)
- Plasmapherese
- Ggf. Nierenersatztherapie
- Ggf. Thrombozytentransfusion erwägen
- Bei Thromboserisiko: Medikamentöse Thromboseprophylaxe
Die Diagnose einer TTP erfordert die zeitaufwändige Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität. Da die TTP jedoch ein hämatologischer Notfall ist, sollte die Therapie bei klinischem Verdacht umgehend eingeleitet werden!
Da eine Thrombozytentransfusion zu einer Aggravierung des Krankheitsbildes führen kann, sollte die Indikation zurückhaltend gestellt werden!
Spezifische Akuttherapie
- Erworbene TTP: Kombinationstherapie aus
- Plasmapherese mit FFP (siehe auch: Transfusion von Plasmakonzentraten - AMBOSS-SOP) und
- Caplacizumab und [7][8]
- Wirkmechanismus: Hemmung der Thrombozytenadhäsion an die vWF-Multimere → Verminderte mikrovaskuläre Thrombusbildung
- Indikation: Bei hohem Risiko für ADAMTS13-Defizienz frühzeitig erwägen (PLASMIC-Score ≥6 Punkte)
- Immunsuppression
- Glucocorticoide: Prednisolon (Off-Label Use) oder Methylprednisolon (Off-Label Use) [9]
- Bei Nicht-Ansprechen 4 Tage nach Plasmapheresebeginn: Zusätzlich Rituximab (Off-Label Use) [10][11]
Spezifische Erhaltungstherapie
- Erworbene TTP
- Angeborene TTP
- Substitutionstherapie mit rekombinanter ADAMTS13 (rADAMTS13, Azymna) [12]
- Alternativ: FFP-Gabe oder ggf. Watch and Wait
- Keine Gabe von vWF-Konzentrat
Therapie des HUS
Prognose
TTP [1]
- Überlebensrate: >95%
- Risikofaktoren für tödlichen Verlauf
- Hohe Antikörpertiter gegen ADAMTS13
- Späte Therapieeinleitung
- Beteiligung von Herz (insb. Troponin↑), Niere (AKI) und/oder ZNS (Schlaganfall, Bewusstseinsstörungen)
- Hohes Alter
- Maligne Erkrankung
- Sepsis
- Langzeitfolgen
- Insb. chronische Organschäden
- Risikoerhöhung für ischämische Schlaganfälle
- Verminderte Lebensqualität
- Rezidivrisiko: 40% (bei erworbener TTP)
Die TTP verläuft unbehandelt i.d.R. letal. Durch die verfügbaren Therapiemöglichkeiten und insb. bei rascher Therapieeinleitung versterben heutzutage nur noch <5% der Betroffenen!
HUS
- Langzeitfolge: Insb. chronische Nierenkrankheit
- Siehe: HUS im Kindes- und Jugendalter - Prognose
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 312-2025-2/3: Highlights vom ISTH-Kongress II: Das Ende der Plasmapherese bei TTP?
- Studientelegramm 59-2019-3/3: Caplacizumab bei thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura – Die HERCULES-Studie
- Studientelegramm 56-2018-3/3: Nachbericht zum ASH-Kongress 2: Die Kunst der Therapie bei TTP
- Studientelegramm 44-2018-2/3: Zulassung von Caplacizumab bei Thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura
Meldepflicht
Nach dem Infektionsschutzgesetz sind der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod durch STEC-HUS namentlich meldepflichtig.
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
Thrombotische Mikroangiopathie
- M31.-: Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien
- M31.1: Thrombotische Mikroangiopathie
- N08.-*: Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N08.5*: Glomeruläre Krankheiten bei Systemkrankheiten des Bindegewebes
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- Goodpasture-Syndrom (M31.0†)
- Granulomatose mit Polyangiitis (M31.3†)
- Mikroskopischer Polyangiitis (M31.7†)
- Systemischem Lupus erythematodes (M32.1†)
- Thrombotischer thrombozytopenischer Purpura (M31.1†)
- Wegener-Granulomatose (M31.3†)
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- N08.5*: Glomeruläre Krankheiten bei Systemkrankheiten des Bindegewebes
Hämolytisch-urämisches Syndrom
- D59.-: Erworbene hämolytische Anämien
- N08.-*: Glomeruläre Krankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N08.2*: Glomeruläre Krankheiten bei Blutkrankheiten und Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- Disseminierter intravasaler Gerinnung [Defibrinationssyndrom] (D65.-†)
- Hämolytisch-urämischem Syndrom (D59.3†)
- Kryoglobulinämie (D89.1†)
- Purpura Schoenlein-Henoch (D69.0†)
- Sichelzellenkrankheiten (D57.-†)
- Glomeruläre Krankheiten bei:
- N08.2*: Glomeruläre Krankheiten bei Blutkrankheiten und Störungen mit Beteiligung des Immunsystems
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.