Zusammenfassung
Die perioperative Lungenarterienembolie ist eine Obstruktion einer oder mehrerer Lungenarterien, die meist durch thromboembolisches Material verursacht wird und intraoperativ oder in den ersten Tagen nach einem Eingriff auftreten kann. Die Inzidenz hängt sowohl vom Eingriff als auch von patienteneigenen Risikofaktoren ab, wobei Immobilisation, inflammatorische Prozesse und Gerinnungsaktivierung eine zentrale Rolle spielen. Während einer Allgemeinanästhesie zeigt sich die Lungenarterienembolie meist durch eine plötzliche hämodynamische Instabilität, Hypoxämie sowie eine charakteristische Diskrepanz zwischen endexspiratorischem CO2 und arteriellem CO2. Typische Symptome – wie bei wachen Personen – treten jedoch nicht auf, was die Diagnostik erschwert. Im OP-Saal ist die transösophageale Echokardiografie das wichtigste Verfahren zur Verdachtsabklärung, da sie eine Rechtsherzbelastung sowie ggf. Thromben nachweisen kann; postoperativ stellt die CT-Angiografie den Goldstandard dar. Eine supportive Therapie kann schon vor der Diagnosesicherung begonnen werden, was insb. die medikamentöse Kreislaufstabilisierung beinhaltet. Ggf. kann schon vor Ende des Eingriffs eine Antikoagulation erfolgen. Das postoperative Prozedere richtet sich v.a. nach dem Schweregrad der Lungenarterienembolie.
Definition
Zeitpunkt des Auftretens
- Perioperative Lungenarterienembolie
- Lungenarterienembolie im Zusammenhang mit einem operativen Eingriff
- Keine allgemeingültige Definition vorhanden für genauen Zeitraum
- Intraoperative Lungenarterienembolie
- Lungenarterienembolie während eines operativen Eingriffs (Narkosekomplikation)
- Sonderform der perioperativen Lungenarterienembolie mit einigen Besonderheiten (insb. bei Diagnostik und Therapie )
Schweregrade
- Einteilung nach Risiko für 30-Tages-Letalität [1]
- Massiv = hohes Risiko
- Submassiv = intermediäres (intermediär-hohes und intermediär-niedriges) Risiko
- Leicht = niedriges Risiko
- Siehe auch: Klinische Risikostratifikation bei LAE
Die etablierte Schweregradeinteilung der Lungenarterienembolie gilt auch im perioperativen Setting und ist für das weitere Management maßgeblich! [2]
Epidemiologie
- Inzidenz: Perioperative venöse Thromboembolie insg. 0,3–1,6%
- Auftreten insb. postoperativ; intraoperative Lungenarterienembolien sind selten [3][4]
- Risikofaktoren für eine venöse Thromboembolie
- Eingriffsbedingte Faktoren
- Veränderung der Hämodynamik (Immobilisierung, venöse Stauung, Hypovolämie durch präoperative Nüchternzeiten)
- Inflammatorische Prozesse infolge des operativen Eingriffs
- Aktivierung des Gerinnungssystems durch Gewebeschädigung
- Siehe auch: Virchow-Trias
- Anästhesiebedingte Faktoren
- Patientenabhängige Faktoren, bspw.
- Vorerkrankungen, Medikamente
- Siehe auch: Risikofaktoren der tiefen Beinvenenthrombose
- Eingriffsbedingte Faktoren
- Perioperative Mortalität: Bis zu 12% bei perioperativer Lungenarterienembolie
Die Lungenarterienembolie zählt zu den häufigsten vermeidbaren Todesursachen im perioperativen Kontext! [2]
Die intraoperative Lungenarterienembolie ist eine seltene Ursache für einen plötzlichen endexspiratorischen CO2-Abfall; die weitaus häufigste Ursache ist eine Diskonnektion der Beatmungsschläuche!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Symptomatik
- Bei wachen Personen, siehe: Symptome der Lungenarterienembolie
- Bei Personen unter Allgemeinanästhesie
- Prüfen subjektiver Symptome nicht möglich
- Für objektive Anzeichen siehe: Perioperative Lungenarterienembolie - Diagnostik
Diagnostik
Die folgenden Inhalte beziehen sich auf das intraoperative Vorgehen. Für das prä- oder postoperative Vorgehen siehe: Diagnostik der Lungenarterienembolie!
Diagnostischer Algorithmus bei intraoperativer Lungenarterienembolie [2]
- Klinischer V.a. Lungenarterienembolie
- Im Rahmen des Basismonitorings bei einem operativen Eingriff
- Zusammenschau von EKG, Blutdruckmessung, Pulsoxymetrie, Kapnometrie
- Erhärtung der Verdachtsdiagnose
- Labordiagnostik
- Insb. arterielle Blutgasanalyse
- Diagnosesicherung
- Ausschluss anderer Ursachen für hämodynamische Instabilität
- Bildgebung: TEE oder TTE
Basismonitoring [2][6]
- EKG (i.d.R. 3-Kanal-EKG)
- Blutdruckmessung: Hämodynamische Instabilität
- Intraoperative Hypotonie bzw. Blutdruckabfall
- Ggf. Schock
- Pulsoxymetrie: spO2↓
- Kapnometrie
- Endexspiratorisches CO2↓
- Beatmungsdruck↑
- Dynamik
- Plötzliche Veränderung der genannten Parameter ohne andere plausible Erklärung
- Intraoperativer Herz-Kreislauf-Stillstand möglich bei fulminantem Verlauf
Das akute Auftreten von Tachykardie, Hypotonie und Hypoxämie sowie ein plötzlicher Abfall des etCO2 gelten als Leitsymptome einer Lungenarterienembolie unter Allgemeinanästhesie. Sie erfordern eine sofortige weiterführende Diagnostik! [2][4]
Bei einer intraoperativen Lungenarterienembolie ist das Risiko eines Blutdruckabfalls durch die systemische Vasodilatation infolge der Allgemeinanästhesie erhöht! [2]
Labordiagnostik [6]
- Arterielle Blutgasanalyse
- Weitere Labordiagnostik: Intraoperativ i.d.R. nicht indiziert
Die gegenläufige Veränderung von etCO2 (↓) und paCO2 (↑) wird auf Englisch oft als „separation phenomenon“ bezeichnet und kann eine rasche Diagnosestellung unterstützen! [7]
Apparative Diagnostik [2][4]
- Echokardiografie: Mittel der Wahl zur vorläufigen intraoperativen Diagnosesicherung
- Verfahren
- Transösophageale Echokardiografie [8]
- Hohe Bildqualität zur Darstellung des Herzens und benachbarter Strukturen [9]
- Direkter Thrombusnachweis in den Pulmonalarterien möglich
- Intraoperative Anwendung oft vorteilhaft
- Transthorakale Echokardiografie
- Häufige Anwendung zur Diagnostik einer Lungenarterienembolie
- Intraoperativ oft keine optimale Patientenlagerung und Platzierung des Schallkopfes möglich [9]
- Reduzierte Bildqualität bei maschineller Beatmung [9]
- Transösophageale Echokardiografie [8]
- Mögliche Anzeichen einer Lungenarterienembolie
- Kardiale und/oder pulmonalarterielle Thromben (selten sichtbar) [6]
- Rechtsherzbelastungszeichen in der Echokardiografie, bspw. [1][3]
- Dilatation des rechten Ventrikels (RV/LV-Ratio >1,0)
- Hypokinesie des rechten Ventrikels (McConnell-Zeichen)
- Reduzierte systolische Funktion (z.B. TAPSE ≤17 mm) [10]
- Paradoxe Bewegung und Vorwölbung des interventrikulären Septums (D-Zeichen)
- Verfahren
- 12-Kanal-EKG: Unspezifische Anzeichen, bspw. Sinustachykardie, Rechtsherzbelastungszeichen im EKG
- ZVD-Messung: ZVD↑
- CT-Angiografie: Mittel der Wahl zur postoperativen Diagnosesicherung bei hämodynamischer Stabilität
Die Echokardiografie ermöglicht eine Beurteilung der Größe und Funktion des rechten Ventrikels und gibt somit Hinweise auf eine Rechtsherzbelastung und rechtsventrikuläre Dysfunktion! [1][3]
Therapie
Die folgenden Inhalte beziehen sich auf das intraoperative Vorgehen. Für das prä- oder postoperative Vorgehen siehe: Therapie der Lungenarterienembolie!
Supportive Therapie [4][6]
- Indikation: Verdacht auf intraoperative Lungenarterienembolie (alle Schweregrade)
- Durchführung
- Optimierung der maschinellen Beatmung
- FiO2 = 1,0
- Niedriges Tidalvolumen
- Möglichst niedriger oder kein PEEP
- Medikamentöse Kreislaufunterstützung
- Medikament der Wahl: Noradrenalin , ggf. kombiniert mit Dobutamin
- Alternativ ggf. Adrenalin oder Dopamin
- Intravenöse Volumentherapie
- Moderate Volumengabe (ca. 500 mL) [11]
- Keine forcierte Volumentherapie
- Senkung des pulmonalen Gefäßwiderstandes erwägen
- Optimierung der maschinellen Beatmung
Antikoagulation [2]
- Indikation: Verdacht auf intraoperative leichte oder submassive Lungenarterienembolie und geringes Blutungsrisiko
- Durchführung: Bevorzugt unfraktioniertes Heparin in Absprache mit operativer Abteilung [6]
- Siehe auch: Therapeutische Antikoagulation: Unfraktioniertes Heparin
Bei leichter bis submassiver Lungenarterienembolie wird eine intraoperative Heparinisierung bevorzugt mit UFH durchgeführt!
Reperfusionstherapie [2]
- Indikation: Massive intraoperative Lungenarterienembolie; Verfahren je nach Blutungsrisiko und individueller Abwägung
- Durchführung
- Systemische Lyse
- Bspw. Bolusgabe von rt-PA i.v. über ZVK [6]
- Siehe: Thrombolysetherapie bei LAE
- Kathetergestützte Behandlungen [12]
- Kathetergestützte Lyse
- Kathetergestützte Thrombektomie (mit Fragmentierung und/oder Aspiration)
- Operative Embolektomie
- Zu erwägen bei kritisch kranken Personen mit Kontraindikation gegen systemische Lyse oder Therapieversagen der systemischen Lyse oder Katheterthrombektomie
- Durchführung in Zentren mit entsprechender Expertise
- Systemische Lyse
Bei massiver Lungenarterienembolie sollte die Operation möglichst zügig beendet werden und eine Reperfusionstherapie erfolgen!
Im intraoperativen Setting ist es essenziell, die Schwere der Lungenarterienembolie gegen das Blutungsrisiko in enger interdisziplinärer Absprache abzuwägen!
ECMO [2]
- Indikation: Überbrückung bis zur definitiven Therapie bei massiver intraoperativer Lungenarterienembolie und schwerer hämodynamischer Instabilität, inkl.
- Akuter Rechtsherzinsuffizienz
- Refraktärer Hypoxie
- Herz-Kreislauf-Stillstand
- Durchführung: Veno-arterielle ECMO
Vena-cava-Filter [2]
- Indikation: Intraoperative Lungenarterienembolie und absolute Kontraindikation für Antikoagulation
- Zu beachten: Präventive Anwendung in ausgewählten Fällen möglich
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- I26.-: Lungenembolie
- Inklusive:
- Lungeninfarkt
- Postoperative Lungenembolie
- Pulmonal (-Arterien) (-Venen)
- Thromboembolie
- Thrombose
- Exklusive: Als Komplikation bei: Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O00–O07, O08.2); Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett (O88.‑)
- I26.0: Lungenembolie mit Angabe eines akuten Cor pulmonale
- Akutes Cor pulmonale o.n.A.
- Fulminante Lungenembolie
- Massive Lungenembolie
- I26.9: Lungenembolie ohne Angabe eines akuten Cor pulmonale
- Lungenembolie o.n.A.
- Nichtmassive Lungenembolie
- Inklusive:
- T81.-: Komplikationen bei Eingriffen, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive
- Komplikation nach: Impfung [Immunisierung] (T88.0-T88.1), Infusion, Transfusion oder Injektion zu therapeutischen Zwecken (T80.‑)
- Näher bezeichnete, anderenorts klassifizierte Komplikationen, wie z.B.: Dermatitis durch Arzneimittel und Drogen (L23.3, L24.4, L25.1, L27.0-L27.1), Komplikation durch Prothesen, Implantate und Transplantate (T82-T85), Vergiftung durch und toxische Wirkung von Arzneimitteln, Drogen und chemischen Substanzen (T36-T65), Versagen und Abstoßung von transplantierten Organen und Geweben (T86.‑)
- Unerwünschte Nebenwirkung von Arzneimitteln oder Drogen o.n.A. (T88.7)
- T81.1: Schock während oder als Folge eines Eingriffes, anderenorts nicht klassifiziert
- Kollaps o.n.A., Schock (endotoxisch) (hypovolämisch) während oder als Folge eines Eingriffes
- Postoperativer Schock o.n.A.
- Exklusive: Schock (durch): als Folge von Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O00-O07, O08.3), Anästhesie (T88.2) anaphylaktisch [(durch): indikationsgerechtes Arzneimittel bei ordnungsgemäßer Verabreichung (T88.6), Serum (T80.5), o.n.A. (T78.2)], elektrischen Strom (T75.4), Geburts- (O75.1) traumatisch (T79.4)
- T81.7: Gefäßkomplikationen nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert
- Luftembolie nach einem Eingriff, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Embolie als Komplikation bei Abort, Extrauteringravidität oder Molenschwangerschaft (O00-O07, O08.2), Schwangerschaft, Geburt oder Wochenbett (O88.‑), durch Prothesen, Implantate und Transplantate (T82.8, T83.8, T84.8, T85.8‑), nach Infusion, Transfusion und Injektion zu therapeutischen Zwecken (T80.0), traumatisch (T79.0)
- T81.9: Nicht näher bezeichnete Komplikation eines Eingriffes
- Exklusive
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.